Essen hat den Großteil meines Lebens bestimmt, selbst (und besonders), wenn ich nichts oder nur sehr wenig und kontrolliert gegessen habe. Was darf ich essen? Wann darf ich essen? Wie viel darf ich essen? Was muss ich tun, um essen zu dürfen? All diese Fragen haben mich von dem abgelenkt, was mir wirklich wichtig war und heutzutage mein Leben ausmacht: Freiheit, erfüllte Beziehungen, Selbstannahme, Frieden mit meinem Körper UND mit allen Lebensmitteln. Kurzum: Lebensgenuss auf allen Ebenen.
„Foodie“ oder essgestört?
Bis vor 5 Jahren wusste ich noch nicht, dass diese exzessive Beschäftigung mit Essen und mein „Foodie”-Dasein eigentlich eine Form von Extremhunger waren. Körperlich spürte ich meinen Hunger kaum, aber mental war jede Faser meines Körpers nur mit Essen beschäftigt. Daher fiel es leicht zu glauben, dass ich einfach ein Mensch bin, der Essen liebt. Und ja, ich habe Essen geliebt und liebe es bis heute, aber mein „Feinschmeckerdasein“ damals war von völlig anderen Beweggründen motiviert als heute.
Bis zu meiner Recovery aß ich sehr „clean“ und möglichst unverarbeitet. Ich kochte und backte meine liebsten Rezepte als gesunde Alternativen und bekam Anerkennung von meinem Umfeld, für meinen gesunden Lebensstil und meine Disziplin.
Doch egal, was ich tat, ich war nie ganz „da“. War ich mit Freunden unterwegs, fühlte ich mich gestresst, besonders, wenn unsere Treffen gemeinsame Mahlzeiten enthielten. Also blieb ich lieber zu Hause oder brachte meine „gesunden Alternativen“ mit. Damit habe ich viele meiner Freunde vor den Kopf gestoßen, die extra für mich gekocht hatten. Auch auf Reisen war ich weniger mit den Sehenswürdigkeiten als mit TripAdvisor beschäftigt, um das beste und gesündeste Essen zu recherchieren.
Der Gedanke, mich nicht „genug“ zu bewegen, löste pure Panik aus. Irgendwie musste ich schließlich mein Essen kompensieren. Also sammelte ich wie besessen Schritte auf meiner Uhr, anstatt wertvolle Erinnerungen mit geliebten Menschen – Denn sowohl meine ständigen Gedanken ans Essen, als auch an die Kompensation des selbigen, kosteten extrem viel Lebenszeit, in der es immer weniger Raum für andere Dinge gab.
Lebenshighlight „Cheat Day“
Das Highlight meiner Woche war der freitägliche „Cheat Day“. Heute würde ich ihn eher als einen geplanten Essanfall bezeichnen. In diesen kurzen Abendstunden war plötzlich alles erlaubt und ich überaß mich regelmäßig so sehr, dass ich hätte platzen können – was auch meine Bulimie einleitete. Es war, als wären an diesen Abenden auf einmal alle Schleusen geöffnet worden. Ich aß und aß selbst dann, wenn mein Magen bereits zum Platzen voll war und konnte einfach nicht mehr aufhören. Das Schuldgefühl im Anschluss hing über mir wie eine fette Gewitterwolke.
Von der Bulimie in die Orthorexie
Selbstverständlich verbrachte ich die restliche Woche wieder in Restriktion und damit, so wenig und gesund wie nur möglich zu essen. Meine Bulimie verwandelte sich in Orthorexie (Der Zwang so gesund wie möglich zu essen). Ich dachte, wenn ich nur „gesund genug“ essen würde, müsste ich die Lebensmittel nicht mehr loswerden. Dadurch ließen auch die „Cheat Days“ nach, weil mein Körper durch die zunehmende Restriktion keine körperlichen Hungersignale mehr sendete. Was angenehm klingen mag, war jedoch ein mentales Gefängnis. Gedanklich war ich inzwischen so besessen vom Essen, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte. Auch meine Liste von erlaubten Lebensmitteln wurde immer kleiner – ebenso wie mein Leben. Das einzige, was noch groß war, war mein unstillbarer mentaler Hunger. Ich wälzte leidenschaftlich Kochbücher und scrollte stundenlang durch Instagram auf der Suche nach Rezepten und „What I Eat In A Day“ – Inspiration. Der Zwang nach Nahrung zu suchen war so extrem, dass Essen mein erster und mein letzter Gedanke des Abends war. Dazwischen verbrachte ich die Stunden damit, mich zu fragen, ob ich bereits genug Zeit damit verbracht hatte mich zu bewegen, UM essen zu dürfen. Heute weiß ich, DAS war Extremhunger in seiner mentalen Form und der Versuch meines Körpers, mich auf irgendeine Weise zum Essen zu motivieren.
Von gedankenhungrig zu lebenshungrig
Ich stand an einem Punkt, an dem ich mich entscheiden musste: Wollte ich meinen Körper weiterhin so klein wie möglich halten und dadurch mein Leben verpassen, oder wollte ich nach meinen wahren Werten leben und etwas aus meinem Leben machen, was über den Umkreis meiner Küche und die Beziehung zur Waage hinausging? Nach über 20 Jahren mit Essanfällen, bulimischen Phasen, Orthorexie und Magersucht entschied mich für die Freiheit.
In diesem Moment wusste ich weder, wie genau ich dahin kommen sollte, noch, was mich erwarten würde.
Hätte ich damals gewusst, dass es das Phänomen des „Extremhungers“ gibt, wäre mir der Weg so viel leichter gefallen. Jahre der Restriktion hatten mich verdammt „gut“ darin werden lassen, meine körperlichen Hungersignale wegzudrücken. Mit zunehmender Erlaubnis und dem Annähern ans „Normalgewicht“, schlug auch der körperliche Extremhunger zu, dem ich mir aufgrund meiner Angst ins Übergewicht zu geraten jedoch ewig nicht erlaubt habe nachzugehen.
Wie ich es trotz meiner Ängste geschafft habe, sowohl meinen mentalen, als auch meinen körperlichen Hunger endlich zu stillen und Frieden mit allen Lebensmitteln und meinem Körper zu schließen, zeige ich dir in meinem Extremhungerkurs.