Warum soll ich meine Essstörung loslassen?
Lohnt sich das überhaupt?
Wie um Himmels willen soll ich mit all dem Druck, der Angst und den Gefühlen umgehen?
Wie schaffe ich es, meinen Körper anzunehmen, wenn ich nicht mehr versuche ihn dünn zu halten?
All diese Gedanken schwirrten mir durch den Kopf als ich mir eingestand, dass ich ein Problem habe und mein Essverhalten und der Umgang mit meinem Körper nicht so „normal“ war, wie ich es mir immer einredete.
Heute, 3 Jahre nach dieser Erkenntnis, möchte ich dir anhand einer Gegenüberstellung zeigen, was sich für mich mit der Recovery geändert hat. Vieles davon habe ich mir zwar zu Beginn meiner Reise erhofft, doch niemals für möglich gehalten. Ich hoffe sehr, dich damit auch für deinen eigenen Heilungsweg bestärken zu können.
Mein Leben mit der Essstörung vor der Recovery
Die meisten meiner Tage in meinem Leben mit der Essstörung verbrachte ich kraft-, motivations- und energielos. Schon vor dem Aufstehen begannen die ersten Kämpfe mit mir selbst:
- Was esse ich zum Frühstück?
- Wie viel davon darf ich essen?
- Wie lange muss es anhalten, bis ich wieder etwas essen darf?
- Wann kann ich aus der Bahn aussteigen, um noch ein paar extra Schritte zu laufen und dennoch nicht zu spät zu kommen?
Und das waren nur ein paar meiner Gedanken, die mich bereits vor dem Frühstück alles an Denkleistung kosteten.
Nach dem Frühstück war ich immer nur gerade so satt, aber ich erlaubte mir auch kein Gramm mehr, als meine sorgfältig abgemessenen Portion zu essen, auch wenn mein Körper mir signalisierte, dass er eigentlich mehr brauchte.
Ich fühlte mich mental stark, denn ich entschied.
Doch körperlich ging es mir durchgängig schlecht, ich dissoziierte und war nie wirklich anwesend.
Gesprächen konnte ich nur halb folgen, da mein Gehirn 24/7 damit beschäftigt war zu überlegen, wann ich endlich wieder etwas essen darf, wie viel und was das sein könnte. Meine Konzentrationsfähigkeit war kaum vorhanden und ich damit wohl keine besonders unterhaltsame Gesprächspartnerin.
Nach der Arbeit schaffte ich oft kaum noch den Weg zurück nach Hause. Der Berg und die Treppen zogen sich endlos und ich schien nur noch in Zeitlupe zu laufen.
Nachdem ich endlich wieder etwas gegessen hatte, musste ich die aufgenommene Energie sofort wieder in Bewegung umwandeln. Also nichts mit Ruhe und gemütlich auf der Couch sitzen. Nein! Ab auf die Matte und noch ein wenig trainiert.
Lag ich abends im Bett und mein Magen knurrte, fühlte ich mich erfolgreich und sicher. Ich dachte bereits vor dem Einschlafen ans Frühstück und wachte oft nachts auf, weil der Hunger so groß war.
Am nächsten Tag ging das ganze von vorn los. Egal was die Waage anzeigte, es war nie genug. Die zwei Sekunden, die ich mich freute, wenn sie wieder ein paar Gramm weniger anzeigte, stachelten meine Essstörung nur noch mehr an.
Was ich damals nicht wusste: Es würde NIE genug sein. Mein krankes Selbst, die Stimme der Essstörung, würde niemals zufrieden sein.
War das Leben?
Machte mich das glücklich?
Nachdem ich endlich erkannt hatte, dass ich nur noch existierte und das Leben an mir vorbeizog, schrieb ich mir auf, wie ich mich lieber fühlen wollte. Der gesunde Teil in mir wünschte sich Selbstliebe. Doch wie würde das aussehen? Ich schrieb mir auf, was ich damit verband.
Und mit diesem Ziel vor Augen begann ich schließlich meine Reise raus aus der Essstörung.
Mein gesundes Leben nach der Recovery
Heute möchte ich die Romy von damals am liebsten in den Arm nehmen, mich bei ihr entschuldigen und sie trösten.
Ein wenig mache ich dies sogar, indem ich jeden Tag meines Lebens ganz bewusst versuche mit mir im Einklang zu leben.
Auf meinem langen Weg habe ich gelernt, den gesunden Anteil in mir zu stärken und mit ihm gemeinsam mein essgestörtes Selbst loszulassen.
Wenn ich heute aufwache, denke ich frühestens im Bad ans Frühstück und das stets mit einer gewissen Vorfreude. Ich plane nicht mehr im Voraus, sondern esse ganz intuitiv das, wonach mir gerade ist und in der Menge, bis ich angenehm satt und zufrieden bin.
Ich berechne nicht mehr, wie lange mein Essen anhalten muss, bis ich wieder essen „darf“, denn wenn ich erneut Hunger bekomme (was meist alle vier Stunden ist), dann esse ich einfach etwas.
Heute vertraue ich meinem Körper und kann meinen Hunger wertschätzen, denn er ist ein Zeichen dafür, dass sich mein Stoffwechsel repariert hat.
Nach Mahlzeiten kann ich mich stundenlang auf andere Themen konzentrieren, ohne auch nur an Essen zu denken. Auf einmal gibt es so viel wichtigere Themen wie Blog schreiben, lesen, Coachinggespräche führen, meine Berater und Kunden im Ölverliebt Team unterstützen, kreative Ideen entwickeln, mich weiterbilden, …
Essen ist ein ganz natürlicher Bestandteil meines Lebens und so viel genussvoller geworden, da ich nicht mehr all das weglasse, was Geschmack bringt (Butter im Porridge z.B.).
Auch mein Körperbild hat sich deutlich verbessert. Zwar bin ich noch immer nicht jeden Tag super happy über mein Spiegelbild, aber ich habe gelernt meinen gesunden Körper anzunehmen und wertzuschätzen, dass er genau so richtig ist. Hier kannst du mehr zum Thema Körperneutralität lesen. Es gibt so viel interessantere Dinge an mir und auf keinen Fall würde ich heute irgendetwas Schädliches tun, nur um weiterhin in eine Hose zu passen. Mein Körper ist lebendig und Leben bedeutet Veränderung.
Die Beziehungen zu den Menschen in meinem Leben sind viel tiefer geworden, da ich mich nun endlich wirklich auf Gespräche einlassen und präsent sein kann. Ich bin nicht mehr die, die wie ein rohes Ei behandelt werden muss, weil sie so zerbrechlich aussieht. Anfangs habe ich das als Nachteil empfunden, doch inzwischen übernehme ich selbst die Verantwortung für meine Themen und mich.
Ich liebe es zu allen Uhrzeiten essen zu können, keine „Extrawurst“ in Form von „gesunden“ Alternativen zu Kaffeeeinladungen bei Freunden mitbringen zu müssen (was oft als Beleidigung aufgefasst wurde) und einfach unkompliziert zu sein.
Anstatt des Essens sind die Beziehungen zu meinen Mitmenschen und Freunden der Mittelpunkt meines Lebens geworden.
Außerdem habe ich destruktive Beziehungen losgelassen, die in gewisser Weise ähnlich zerstörerisch waren wie meine Essstörung.
Wenn mich heute jemand fragt, wie es mir geht, kann ich meist ganz authentisch antworten „gut“. Doch es sind noch so viel mehr Gefühle in mein Leben gekommen: Ich spüre Wärme, Nachsicht mit mir selbst, Liebe für die kleinen und großen Dinge, bin viel Stress-resilienter, lustiger, ausgeglichener und einfach rundum lebensfreudig geworden. Früher lebte ich Gefühle höchstens als Rolle für ein Fotoshooting aus, heute spüre ich sie wirklich.
Die Waage hat keinen Platz mehr in meinem Leben, denn ihre Zahl interessiert mich nicht und ist völlig unwichtig für mein persönliches Glück und meine Zufriedenheit.
Auch mit meinen Gefühlen kann ich jetzt viel besser umgehen. Ich habe gelernt sie anzunehmen und als Wegweiser zu sehen. Somit machen mir auch vermeintlich negative Gefühle keine Angst mehr, sondern erinnern mich daran, an der ein oder anderen Stelle besser auf mich achtzugeben. Sind sie doch einmal zu intensiv, unterstützen mich meine ätherischen Öle sehr dabei, dennoch gut mit mir umzugehen.
Hinzugewonnen habe ich ganz viele positive Gefühle wie Zufriedenheit, Selbstliebe, innere Ruhe, Wärme und die Freiheit zu tun, was ICH möchte.
Selbstliebe ist zu einem ganz natürlichen Bestandteil meines Lebens geworden. Es ist etwas, das ich täglich für mich tue, indem ich:
- Selbstfürsorge aktiv auslebe und auf meinen Körper höre und ihm gebe, was er wirklich braucht
- mich gut um mich kümmere: mir die Zeit nehmen mich einzucremen, spazieren zu gehen oder mich zu schminken, einfach, weil ich Lust dazu habe
- Sport nicht als Strafe oder zum Essen verdienen einsetze, sondern um mir etwas Gutes zu tun
- nachsichtig und nett mit meinem Spiegelbild spreche, auch wenn ich nicht immer zu 100 % mag, was ich da sehe
- mir Pausen gönne, wenn mein Körper signalisiert, dass er nicht mehr kann (körperlich und mental)
- mich ausgewogen und nährstoffreich ernähre ohne Verbote und meinen Körper mit Nahrungsergänzung unterstütze
- mir jeden Tag bewusst etwas suche, wofür ich dankbar bin
- mir regelmäßige Pausen gönne und einfach auf der Couch liege und einen Film schaue, anstatt jede Sekunde mit Bewegung zu füllen
- mir Genuss gönne
Lohnt sich Recovery?
Auf jeden Fall und zu 100 %.
Auch heute noch ist nicht alles so leicht, wie es hier vielleicht klingt, doch ich bin mir absolut sicher, dass der Weg zurück in die Essstörung keine Option mehr ist.
Ich merke, wie sehr ich durch meine Reise gewachsen bin und dass ich so viel mehr hinzugewonnen habe als nur Körpergewicht – vor allem Lebensfreude und Lebensqualität, die ich nicht mehr missen möchte. Man könnte fast sagen, dass mit jedem Gramm mehr auf der Waage auch mehr Leichtigkeit in mein Leben gekommen ist.
Das Verhältnis zum Essen, mir selbst und meinem Körper ist wahrscheinlich sogar gesünder als das vieler Menschen, die nie eine Essstörung hatten.
Wenn auch nur ein kleiner Teil von dir sich jetzt angesprochen fühlt und denkt, dass Recovery doch eine Möglichkeit sein könnte, dann verbinde dich mit ihm, stärke ihn und hole dir Unterstützung.
Ich bin gern für dich da und begleite dich auf deinem Weg. Ich bin ihn bereits gegangen und du musst ihn nicht allein gehen.