5 Motivationsstufen – Wann bin ich bereit für meine Recovery?

Phase 1: „Du denkst, du hast kein Problem und musst auch nichts ändern.“

In dieser Phase steckte ich fast 10 Jahre. Ich ernährte mich meiner Meinung nach gesund und übte keine schädlichen Verhaltensweisen wie Erbrechen oder Abführmittelmissbrauch mehr aus, so wie ich es zwischen meinem 14. und 22. Lebensjahr getan hatte. Dass ich mein Gewicht dennoch ständig mit Sport, Verzichten und zwanghaft gesunder Ernährung (Orthorexie) unterdrückte, war mir lange Zeit nicht bewusst.

Phase 2: „Du erkennst, dass du doch ein Problem hast und möchtest etwas ändern, aber du weißt nicht so recht wie.“

Diese Phase ereilte mich während meiner Reha. Mein Gewicht wurde immer weniger und mein Sport- und Bewegungspensum nahm ständig zu.
Ich wurde von meiner Therapeutin damit konfrontiert, dass ich sowohl mein Essen, als auch meine Emotionen zu kontrollieren oder zu vermeiden versuche. Ich würde Sport einsetzen, um nicht fühlen zu müssen und um mein Gewicht so niedrig wie möglich zu halten. Auf das daraufhin erteilte Sportverbot reagierte ich mit Panik und Trotz, bis ich mir eingestehen musste: Da ist definitiv etwas nicht in Ordnung. Etwas in mir wusste, dass meine Therapeutin womöglich recht hatte. Etwas in mir wollte so nicht mehr leben.
Doch der Gedanke meine Kontrolle über das Essen und die Bewegung loszulassen verursachte pure Panik. Wie um Himmels Willen sollte ich mit all dem Druck, der Angst und den Gefühlen umgehen?

Phase 3: „Du fühlst dich langsam bereit für eine Veränderung, schaust nach Selbsthilfebüchern, Recovery-Accounts und möglicher Unterstützung“

Nachdem meine erste Panik abgeklungen war und ich verstand, dass ich mehr in meinem Leben wollte, als mich ständig ums Essen, Verzichten und den Zwang mich bewegen zu müssen zu drehen, kaufte ich mir mein erstes Selbsthilfebuch und begann mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass es auch ein Leben ohne die Essstörung geben könnte. Ich wollte ein echtes Leben und nicht mehr einfach nur kraft- und energielos existieren.

Phase 4: „Du weißt, dass du etwas ändern möchtest und fängst an aktiv etwas dafür zu TUN, Pläne zu machen und anders zu handeln als bisher.“

In dieser Phase begann ich, mir Gründe aufzuschreiben, wofür es sich lohnt gesund zu werden. Ich schrieb auf, wie ich mich fühlen wollte, wenn ich recovered wäre.
Ich schrieb auf, wie es sich anfühlen würde voll Selbstliebe zu sein.
Ich schrieb mein Recovery-Commitment, um mich selbst in der Verantwortung zu halten und erstellte mir ein Toolkit um dranzubleiben und nicht wieder in alte Muster zurückzufallen.

Phase 5: “Dranbleiben”

Diese Phase war die schwierigste für mich. Sie verlief wie der Ritt auf dem berühmten Stier beim Rodeo. Ich fiel einige Male herunter, weinte … Ich zweifelte an dem Prozess, hatte unglaubliche Ängste die Kontrolle zu verlieren und endlos zuzunehmen. Ich musste mich von meinen zu klein gewordenen Sachen trennen und hatte das Gefühl damit auch ein Stück meiner Identität zu verlieren. Doch ich ging durch all diese Gefühle hindurch und bin immer wieder aufgestanden.

Die Angst, endlos zuzunehmen, wurde von einer neuen Angst abgelöst: Ich wollte meinen Recovery Erfolg nicht mit erneutem Verzichten zunichtemachen. Ich wollte einen gesunden Stoffwechsel, damit mein Körper mir wieder vertraut.
Und so machte ich weiter, bis der Stier namens „Essstörung“ schwächer wurde … ganz langsam … Ich spürte, ich war auf dem Weg zu gewinnen. Tag für Tag kämpfte ich mit neuen Herausforderungen und lange Zeit befand ich mich in „Quasi Recovery“, einem Zustand, an dem ich zwar schon wieder im „gesunden“ Gewichtsbereich war, aber immer noch nicht die komplette Kontrolle losgelassen hatte.
Ich dachte, ich könne bei einem bestimmten Gewicht bleiben und hatte noch immer verbotene Lebensmittel und Essensregeln, nur eben nicht mehr so streng wie früher.

Meine vollständige Recovery und damit auch komplette Freiheit, erreichte ich erst, als ich alle Kontrollgedanken losließ. Ich begann meinem Körper zu vertrauen und ließ IHN machen, was er für richtig hielt.

Heute, zwei Jahre nach Phase 2, kann ich gar nicht glauben, was ich mir fast mein ganzes Leben lang angetan habe. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass man in zwei Jahren so weit kommen kann. Und ich bin dankbar für meinen Trotzkopf und meine Disziplin. Diese zwei Dinge haben mich einerseits in der Essstörung gehalten, andererseits waren sie aber auch der Schlüssel heraus, weil ICH es so entschieden und dafür gekämpft habe.

     

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