Körperschemastörung Essstörung Körperbild

Körperschemastörung in der Essstörung (1/4) – Gehirn

Warum sehe ich mich dicker als ich bin?

Kennst du das? Du stehst vor dem Spiegel und musterst die Person, die dir da gegenüber steht mit kritischen Augen und bösen Worten im Kopf: “Gott sind meine Schenkel fett. Diese Dellen!!! Mein Bauch ist auch viel zu weich. Muskeln wären ja schön aber das einzige, was an mir stramm ist, sind meine Waden …“
Es scheint, als würdest du durch eine Brille mit Makelerkennung schauen. Da hilft es auch nichts, dass dir deine Freunde und Familie versichern wie schlank, schön und liebenswert du bist. Das einzige, was du siehst, ist deine Mangelhaftigkeit.
Doch warum ist das so?
Unsere Wahrnehmung kann durch vielerlei Dinge verzerrt werden. Menschen mit einer Essstörung leiden sehr häufig auch an einer Körperschemastörung. Sie nehmen ihren Körper oder Körperteile anders wahr, als es in der Realität der Fall ist. Der Bauch, die Schenkel, die Arme … Alles sieht dicker aus. Ein Zerrspiegel, der nicht etwas im Gruselkabinett zu finden ist, sondern im eigenen Kopf. Dieser kann mehr oder weniger stark ausgeprägt sein. 
Ich selbst habe mich im Untergewicht zwar nicht mehr unbedingt als “fett“ wahrgenommen, war aber auch nicht in der Lage zu sehen, wie ungesund dünn ich geworden war. In meinem Kopf war ich “normal”. Wenn ich jetzt auf Bilder aus dieser Zeit zurückschaue, bin ich selbst erschrocken darüber, wie krankhaft verzerrt mein Bild von mir war. Doch damals KONNTE ich es einfach nicht sehen.

Mögliche Ursachen

Was passiert bei einer Essstörung, dass man sich selbst so anders wahrnimmt?

Ich möchte zwei Ansätze vorstellen, die die Verzerrung im Kopf erklären können. Dieser Artikel beschäftigt sich mit den Veränderungen im Gehirn, die durch eine dauerhafte Mangelernährung entstehen. Über die Ursachen Schönheitsideal und sozialer Vergleich kannst du hier mehr lesen.

Veränderungen im Gehirn

Durch Mangelernährung aufgrund einer Essstörung  kommt es zu Veränderungen im Gehirn, die dazu führen, dass es nicht mehr „normal“ arbeiten kann und dadurch bedingt verzerrte Bilder liefert. Der Körper beginnt bei Mangelernährung auf alle Reserven zurückzugreifen, die ihm zur Verfügung stehen. Sind die Energiespeicher leer und alle schnell verfügbaren Kohlenhydrate abgebaut, geht es den Fettzellen an den Leib. Erhält der Körper dauerhaft nicht genug Energie beginnt er, sich diese aus den Muskeln und auch aus dem Gehirn zu holen, denn unser Gehirn ist das fett reichste Organ im  Körper. 
Wenn die Energie aus den Muskeln und dem Gehirn geholt wird um überhaupt noch funktionieren zu können, wird es lebensbedrohlich, denn auch das Herz ist ein Muskel, welcher ebenfalls angegriffen wird. Aber an dieser Stelle soll es um das Gehirn gehen. 
Prof. Dr. Boris Suchan (Gehirnforscher) konnte in Studien nachweisen, dass bei vielen Magersüchtigen bestimmte Hirnregionen weniger graue Zellen aufweisen – und zwar vor allem in den Regionen, die für die Körperwahrnehmung zuständig sind. Er fand eine reduzierte Dichte grauer Zellen und es flossen sehr viel schwächere elektrische Signale zwischen zwei Teilen der Sehrinde (visueller Kortex), die für die Wahrnehmung und Verarbeitung von Körperbildern wichtig sind.
Die niedrige Verbindungsstärke zwischen diesen beiden Gehirnarealen scheint der Grund dafür zu sein, dass die Patienten ihren Körper nicht richtig einschätzen können.
Bei jeder/m Dritten geht die graue Substanz im Gehirn durch die Unterversorgung um durchschnittlich 18 Prozent zurück.
Folgen einer Mangelversorgung des Gehirns 
  • Gehirnnebel/Brain Fog:
    • Konzentrationsschwierigkeiten
    • Müdigkeit
    • Vergesslichkeit
    • Stimmungsschwankungen 
    • mangelndem Fokus
    • Antriebslosigkeit 
    • Kopfschmerzen
  • “Unwirklichkeitsgefühle”
  • Abnahme des Intelligenzquotienten (IQ) 

Körperschemastörung überwinden

Die gute Nachricht ist, dass sich das Gehirn bei ausreichender Versorgung wieder von diesen Schäden erholen und regenerieren kann.
Erst wenn wir unseren Körper wieder mit genug Energie versorgen, kann sich die graue Masse im Gehirn regenerieren. Daher ist es unausweichlich genug zu essen und sich auszuruhen. Der Körper braucht alle Kraft und Energie für diesen Prozess. Es ist daher weder faul sich auszuruhen, noch maßlos, wenn unser Körper uns über extremen Hunger zeigt, dass er Energie benötigt. Je mehr wir auf unseren Körper hören und ihm geben, was er braucht, desto schneller wird er sich erholen.
Auch ich habe bemerkt, dass mein Körperbild mit voranschreitender Recovery besser geworden ist. Heute sehe ich mich realistischer und bin zufriedener mit mir, als ich es zu meinen dünnsten Zeiten war. Klingt paradox, ist aber eigentlich logisch^^
Alle Artikel zur Körperschemastörung: Gehirn, Schönheitsideal, Körperneutralität und Selbstannahme

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